„Wertschätzender Umgang“ ist ein vielverwendeter Begriff in der Beschreibung von Unternehmenskulturen. Leider ist er bei genauer Betrachtung oft nicht mehr als eine Worthülse. Etwas, was alle wollen, wovon alle reden und was nur die wenigsten wirklich verstehen. Vergleichbar ungefähr mit dem Begriff „digitale Transformation“.
Nun lässt sich immerhin ausreichend Literatur darüber finden, wie Wertschätzung im beruflichen Umfeld tatsächlich umzusetzen sei. Es wird zum Beispiel aufrichtiges Interesse am Mitarbeiter als Person als Grundvoraussetzung genannt. Davon, dass Mitarbeiter in Entscheidungen einbezogen werden sollten, die sie betreffen. Und von einer gerechten Behandlung. In der Praxis erleben auch engagierte Führungskräfte immer wieder, dass selbst die besten Vorsätze scheitern.
Am Ende des Tages ist die Definition von Wertschätzung sehr individuell und funktioniert deshalb nicht nach Lehrbuch. Denn die Definition von Wertschätzung unterliegt vielen Einflussfaktoren: Wie wird Wertschätzung kulturell definiert? Was habe ich in der Familie gelernt? Wie geht die Gesellschaft damit um?
In unserer Kultur ist Wertschätzung zum Beispiel mit Leistung verbunden. Für Führungskräfte wird das, was Arbeit abnimmt, als Leistung wahrgenommen und entsprechend gewürdigt. Wer Arbeit macht, ist das Gegenteil von einem Leistungsträger und erhält höchstens negative Aufmerksamkeit. Auf die Spitze treiben es die Schwaben mit ihrer Haltung:
„Nicht gemeckert ist gelobt genug“.
Wertschätzung wird in unserer Leistungsgesellschaft außerdem häufig gleichgesetzt mit Lob oder Belohnung. Eine teure Falle, wenn Leistungsträger einen hohen Bonus bekommen, sich aber als Mensch nicht gesehen fühlen und trotzdem kündigen.
Wer echte Wertschätzung in seinem Unternehmen oder seiner Abteilung einführen will, muss sich mit Fragen beschäftigen wie
- was hat meine Definition von Wertschätzung geprägt?
- was bedeutet Wertschätzung für mich persönlich und für mich als Führungskraft?
- was bedeutet Wertschätzung für die einzelnen Mitarbeiter?
- wie groß ist die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit im eigenen Unternehmen?
Eine Beschäftigung mit der eigenen Haltung und der Vorstellung der Mitarbeiter ist von zentraler Bedeutung. Ich hatte mal eine Mitarbeiterin, bei der konnte man sehen, wann Lob als echte Wertschätzung bei ihr ankam: Nämlich immer dann, wenn sie sich selbst auf die Schulter geklopft hat.
Es gibt Menschen, denen die Fähigkeit zu wertschätzendem Umgang angeboren zu sein scheint. Die gute Nachricht: Alle anderen können es lernen. Diejenigen, die andere ungern um Rat fragen, nicht wirklich zuhören, selten die Verantwortung aus der Hand geben und sich nicht um die Bedürfnisse anderer kümmern, werden dafür allerdings etwas länger brauchen.
Das sind sehr interessante Gedanken, die Sie hier aeussern. Ich habe das Gefuehl, dass ich mich selbst vielleicht auch mehr wertschaetzen sollte.
„Wer Arbeit macht, ist das Gegenteil von einem Leistungsträger und erhält höchstens negative Aufmerksamkeit.“ Meinen Sie damit, dass solide Arbeit, also Arbeitserfuellung, ohne aber Dinge voranzubringen, nicht gewertschaetzt wird aber mehr gewertschaetzt werden sollte?
Liebe Susanne Sutton,
als ich den Artikel schrieb, hatte ich die individuellen Definitionen von Wertschätzung im Fokus. Was sowohl für den gilt, der in der Rolle ist, die Arbeit eines anderen angemessen wertzuschätzen, als auch für den, der sich Wertschätzung für seine Arbeit wünscht. Wenn ich Sie richtig verstehe, geht es Ihnen um den Wert, der unterschiedlichen Tätigkeiten beigemessen wird. Auch ein sehr interessanter Aspekt von Wertschätzung, den ich in dem Artikel aber nicht behandelt habe – der aber zu einer umfassenderen Betrachtung der Subjektivität von Wertschätzung sicherlich dazugehört.